Hallo Marion,
deine Schilderungen klingen in meinen Ohren nach normaler „Karriere“ eines Aspergers.
Für uns ist das MPH ein Segen, denn danach ging die Entwicklung steil nach oben. Ich weiß aber, dass nicht jedes Kind (egal ob Autist oder nicht) das MPH verträgt. Wir wechselten in den letzten Jahren auch sehr oft die Sorte und sind derzeit bei Ritalin LA angelangt. Die retardierte Form stellte sich als die beste Lösung heraus, weil der Wirkstoff gleichmäßiger ausströmt. Wobei unser Junge einen hohen Stoffwechsel hat und den Wirkstoff schnell verbraucht. Aus diesem Grunde ist nur die Schulzeit abgedeckt. Nachmittags geht es auch ohne, zumal als Nebenwirkung eine absolute Appetitlosigkeit angezeigt ist. Dieser entgehen wir, wenn er ohne Medikamente ist.
Bei Strattera kenne ich fast nur entmutigende Beispiele. Im Bereich der ganz jungen Kinder war am ehesten der Erfolg zu finden.
Die ADHSler, welche Strattera bekamen, hatten oft einen Anfangserfolg, aber dann ganz plötzlich keine Wirkung mehr. Außerdem ist es mit der Dosierung ( Einschleichen/ Ausschleichen) kompliziert.
Ich kenne frühkindliche Autisten, welche MPH und Risperdal bekommen, allerdings in sehr geringer Dosis. Ein frühkindlicher Autist ( mit extremer Weglauftendenz) hat seitdem eine super Entwicklung durchgemacht. Allerdings ist das wirklich nicht der Normalfall und hier spielt auch die Förderung eine Rolle.
Hast du dich schon einmal mit ABA und TEACCH beschäftigt? Ich weiß, dass sich im I-Net ganze Völkerschaften darum bekriegen und es fast ein „Religionskrieg“ ist, aber das sollte dich erst einmal nicht stören. Der Vorteil beider Therapieeinheiten ist, dass der Alltag absolut strukturiert wird. Das ist extrem wichtig für Autisten ( und für Kinder generell).
Der Hauptgrund des „Ausflippens“ ist, dass diese Kinder überfordert sind, weder Handlungen planen noch auf andere Handlungen übertragen können. Sie flippen aus, weil sie keine Lösung für einen Konflikt haben. Dabei muss ich immer wieder betonen, dass man nur etwa 20 % der Reaktion an dem Kind sieht. Der Rest läuft „unter der Haut“ ab und ist für den Außenstehenden unsichtbar und nicht zu erkennen. Der Auslöser eines Ausrasters muss dann nicht unmittelbar bevor liegen, sondern kann schon Stunden/ Tagen vorher geschehen sein und dann ist es letztendlich die Summe, die zu einem emotionalen Ausbruch führt.
Klar träumt er sich nicht weg. Das ist bei unserem Jungen auch so. Das liegt daran, dass diese Kinder ihre Informationen nicht direkt sonder auch pheripher ( am Rande des Gesichtsfeldes) wahrnehmen können. Ihre Informationsverarbeitung ist anders, langsamer und das muss man wissen. Viele Lehrer sagen, dass er weg trifftet. Das stimmt aber nur teilweise so. Man weiß halt nur nicht, wann er anwesend ist und wann nicht. Darin liegt aber auch die Schwierigkeit begründet, den Lehrern begreiflich zu machen, dass ihnen viel an Hilfebedarf entgeht. Aber Lehrer und Schule sind ein Thema für sich.
Wie läuft es in der Schule? Hast du schon mit den Lehrern gesprochen?
Ich habe zusammen mit den Therapeuten einen Schulhefter für unseren Sohn angelegt. Unter anderem mit Stärken und Schwächen unseres Kindes, Unterrichtstipps und Lernbesonderheiten. Das ist so als erste Hilfemaßnahme gedacht.
Hinzu kam eine Anleitung/ Info über das eingeführte Ordnungssystem und ein Notfallplan bei Konflikten ( Was muss ich tun, wer macht was, wer ist Ansprechpartner usw.) Das ist wichtig, damit auch die Lehrer adäquat reagieren können, wenn unser Schulbegleiter einmal nicht da ist.
Unser Schulbegleiter ist übrigens nicht dazu da, den Lehrstoff der Lehrer zu übernehmen, sondern nur den Lehrstoff autistisch anzupassen und als Stütze des Lehrers mit umzusetzen. Darunter zählt die Strukturierung des Stoffes, die zugängliche Hilfe, Orientierung in den Büchern und Heften und die komplette soziale Komponente. Die soziale Komponente geht von extra Betreuung der Hofpause auf einem extra Platz ( soziale Erholung vom Unterricht) über Moderation von Konflikten mit den Mitschülern, Schutz vor den Mitschülern, Entschärfung sozialer Konflikte bis hin zum Verlassen des Klassenraums bei Überforderung ( besonders durch Lautstärke) und arbeiten in einem extra bereitgestellten Raum.
Ich weiß, dass dies super klingt, aber dafür mussten wir hier sehr kämpfen. Gewonnene Gerichtsverfahren gegenüber dem JA und viele Nerven liegen auf dem Weg.
Ich denke aber, wenn man den Autisten diese Hilfe gerade am Anfang der Schulzeit massiv zukommen lässt, dann sind sie durchaus in der Lage, ihren Weg später allein zu gehen und eine in einer normalen Regelschule zu bestehen. Allein die Praxis sieht anders aus.
Übrigens darf das JA die Autismustherapie nicht abweisen mit der Begründung, dass dein Sohn auf die Förderschule geht.
Schule und Autismustherapie sind 2 Paar verschieden Schuhe. Die Schule ist für die Bildung zuständig und die Autismustherapie ist für die sozialen Belange zuständig. Das kann die Schule gar nicht leisten.
Aber sie werden durchaus versuchen, dir das so zu begründen. Bei uns wurde versucht, dass ich mich entscheiden sollte: Entweder EFH oder Therapie. Ich habe das Amt dann mit ihren eigenen Waffen geschlagen und beides bekommen. Das ist nämlich nicht rechtens.
Über die Autismustherapie bin ich besonders glücklich. Nicht nur, dass unsere Therapeuten unsere alltäglichen Probleme und Wünsche mit in die Therapie einbeziehen, sondern weil ich mich als Mutter auch einmal heraus ziehen kann. Das entlastet uns als Familie ungemein.
Themen in der Therapie sind sogenannte weiche Themen wie Freundschaften, was sind Freundschaften, Freunde, soziale Regeln, Aufarbeitung von sozialen Konflikten, Erstellung von sozialen Notfallplänen bis hin zu Training von so genannten Alltagskompetenzen: einkaufen mit allen Hürden , kochen, backen usw. Im Prinzip die Bildung einer Alltagsstruktur und eines Tunnels, an der sich unser Sohn entlang hangeln kann.
Am Besten fand ich, dass unsere Therapeuten mit ihm einen Kurs durchgeführt haben und zwar den von Vermeulen: „ Ich bin etwas Besonderes“. Das ist die Aufklärung der Kinder/Jugendlichen ab ca. 10 Jahren über das Aspergersyndrom. Der Kurs ist eingeschlagen wie eine Bombe und seitdem geht es mit seinem Selbstbewusstsein steil bergauf. Zeitgleich wurden die Eltern in einer Elternversammlung durch unsere Therapeuten /Lehrer über das Aspergersyndrom aufgeklärt und die Autismusbeauftragten und Lehrer unseres Schulbezirkes übernahm die Aufklärung der Klasse. Die Summe aus – EFH, Strukturierung, Therapie und Aufklärung- schränkte mögliches Mobbing gleich von vornherein ein. Bisher sind wir weitestgehend davon verschont geblieben, was nun in dem Bereich nicht gerade ein Normalfall ist.
Wenn also das Amt kommt und dir die Therapie ablehnt- kämpfe dafür. Unbedingt, denn wenn Autisten in die Pubertät kommen, wird es noch schwieriger.
Kurz noch zum lesen. Da kann ich dich trösten, dass ist bei uns auch so gewesen. Nur hatten wir dann ab der 2. Klasse den Nachteilsausgleich, dass er nicht vor der Klasse lesen, Gedicht aufsagen, erzählen und singen muss, sondern in einem Raum nebenan mit der Person, der er am meisten vertraut. Interessanter Weise half ihm das so gut, dass er dann innerhalb eines Jahres anfing, vor der Klasse zu singen oder zu antworten. Ganz leise, aber immerhin.
Hast du mit den Lehrern einmal über Nachteilsausgleiche gesprochen? Ich hänge dir einmal Lernbesonderheiten als pdf an. Vielleicht hilft dir das in der Argumentation weiter.
Lg L.